Dr. Bärbel Sunderbrink, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Redebeitrag am 10. November 2023 zur Eröffnung der Ausstellung „Spuren jüdischen Lebens in Detmold“ an der Bruchmauerstraße

 

Liebe Schülerinnen und Schüler, lieber Herr Wagner, lieber Bürgermeister Hilker, meine Damen und Herren,

das Stadtarchiv bewahrt nicht nur das historische Erbe von Detmold, es begleitet auch Projekte, die die Geschichte erforschen und für die Gegenwart und Zukunft nutzbar machen.

Dieses besondere Projekt gehört dazu. Und es ist so wichtig, denn ich bin davon überzeugt, dass Menschen, die wissen, wie Ausgrenzung in der NS-Zeit zum Völkermord führte, sensibel werden für das, was wir aktuell erleben müssen an Antisemitismus und Gewalt gegenüber Juden in unserem Land.

Geschichte wiederholt sich nicht, 2023 ist nicht 1938, aber aus der Geschichte können wir lernen, welche Mechanismen dazu führten, dass die Verfolgung der jüdischen Nachbarn ertragen und sogar mitgetragen wurde. Wir können ein bisschen dem Unbegreiflichen näherkommen, wieso die Deportation und Ermordung hingenommen wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Aufbaugesellschaft lange überhaupt kein Thema waren.

Die Beschäftigung mit den Jüdischen Orten in Detmold durch die Schülerinnen und Schüler des Grabbe-Gymnasiums liegt schon einige Zeit zurück, 1 1/2 Jahre, aber die Ausstellung kann und soll Ansporn für die nächste Schüler:innengeneration sein, sich weiter auf Spurensuche zu begeben.

Es werden hier Orte jüdischen Lebens dargestellt, die von 1633, also aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, bis in die NS-Zeit reichen: 300 Jahre haben Spuren hinterlassen, die vergessen zu sein scheinen. Die Schüler und Schülerinnen hat das herausfordert, sie haben sich quasi wie Zeitdetektive durch die Stadt bewegt, um diesen Spuren nachzugehen und vor allem sie zu deuten.

Sie haben sich mit den rituellen Räumen auseinandergesetzt: Der Hofsynagoge hier ganz versteckt an der Stadtmauer, dem jüdischen Ritualbad, der Mikwe, die von einer Straße überbaut ist. Sie haben die Entwicklung nachvollzogen von einer religiösen Gemeinschaft, die lange im Hinterhof ihren Platz hatte, bis sie an der Exterstraße eine öffentlich sichtbare Bleibe fand. Sie haben sich mit der repräsentativen Synagoge an der Lortzingstraße beschäftigt, die vor genau 85 Jahren in der Nacht zum 10. November 1938 von SS- und SA- Leuten, Anhängern der NSDAP, in Asche gelegte wurde.

Außer diesen wichtigen rituellen Gebäuden haben die Schülerinnen und Schüler Orte beschrieben, die auf die Verfolgungsgeschichte im 20. Jahrhundert verweisen: Auf Geschäfte jüdischer Inhaber, die boykottiert und später arisiert wurden. Sie sind Menschen begegnet, die ermordet wurden: Felix Fechenbach, der mutige sozialistische Journalist, der ganz nahe hier im Pressehaus gearbeitet hat, bevor er 1933 auf dem Weg ins KZ brutal umgebracht wurde. Sie haben sich auch mit den Kindern beschäftigt, die in Detmold zur jüdischen Schule gehen mussten, weil das öffentliche Schulsystem sie an ihren Heimatorten nicht mehr duldete. Die Kinder mussten ihre letzten Lebensjahre vor ihrer Deportation fernab ihrer Familie leben.

Diese Geschichten sind kein einfacher Schulstoff – diese Schicksale bleiben im Kopf. Hier geht es um Schicksale, die man mitnimmt, vielleicht ein Leben lang.

Für mich als Historikerin war es spannend zu erfahren, wie Schülerinnen und Schüler mit diesen Orten umgehen. Auf welche Weise setzen sie sich mit diesen Spuren auseinander. Der Weg, die Öffentlichkeit an ihrem Blick auf die jüdischen Spuren teilhaben zu lassen, ist gelungen: Hier werden Fakten gezeigt, keine Fakes. Vielen Dank dafür!

Und Sie haben dafür einen besonderen Ort, ein besonderes Stadtquartier gewählt. Hier, an der ehemaligen Hofsynagoge wird besonders deutlich, wie eng die Symbiose zwischen jüdischem und christlichem Leben sein musste, um zu bestehen. Ganz hier in der Nähe in der Freiligrathstraße ist der große jüdische Gelehrte Leopold Zunz geboren. Auch ihm ging es darum, dass Menschen verstehen, was das Judentum ist – keine Fakes, sondern Fakten!

Wie war das Leben einer religiösen Minderheit in einer christlichen Mehrheitsgesellschaft? An dieser Stelle könnte man in Zukunft weitere Frage stellen und beantworten, denn wir wissen bislang viel zu wenig über dieses jüdische Viertel!

Die Schülerinnen und Schüler haben einen wichtigen Grundstein gelegt für eine weitere Beschäftigung mit unserer jüdischen Stadtgeschichte.

 

Die Rede als Pdf-Datei:

Redebeitrag zur Eröffnung der Ausstellung „Spuren jüdischen Lebens in Detmold“ von Dr. B. Sunderbrink

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